loading...

Gedichte für Peppino

Gedichte für Peppino

(Übersetzung: Christoph Hermsdorf, mit freundlicher Unterstützung von Elvira Lima)

 

Umberto Santino

Du wirst weniger allein sein (1978)

Wir hätten denken können
die Stille kehrt zurück
und wir zusammengedrängt um die Überreste
Deines Körpers
erdrückt von zu vielen Toden
bevor durch andere
durch uns selbst gewonnen
(wo waren die meist geliebten Gefährten
denen Du am meisten vertrautest?
Wie in den Krippen der Kindheit
offenbarten sich die Felsen
als bemalter Kork
leicht wie Rauch
und mehr noch als die gestohlenen Worte
derer, die wollten, dass Du dich umbringst
ist es Dein Tod, der über uns urteilt
ist es Deine Einsamkeit, die uns misst)
ein letztes Mal schreien
um uns weniger einsam zu fühlen
um uns Mut zu machen.
Jedoch waren es die Alten
Die sich die Hände gaben
Nach der Kundgebung,
es waren die Hände, die fragten
nach dem Flugblatt,
da waren offene Türen
nach der ersten Angst
(Mafiopoli atmete auf
da war Dein Name
markiert auf dem Stimmzettel
um denen zu antworten
die ihn gestrichen hatten
aus dem Manifest:
kleine Risse, sicher,
in einer Mauer, die eine Mauer blieb.
Und da war die Wut des Trauergeleits
auch wenn die Gesten
viel zu klein
(ein Stein, geschleudert
gegen den Laden der Macht)
und die viel zu großen Worte
(wie können wir sagen
Nichts bleibt ungestraft
wenn wir nicht einmal verhindern können
dass Dein zerstörtes Gesicht
von den Zeitungen in den Dreck gezogen wird?).
Deine Rache
wird sein, den Riss in der Mauer zu vergrößern
die Türen aufzureißen.
So wirst Du weniger einsam sein
hinter der Mauer der Toten.

 

Umberto Santino

Die Mutter Peppinos (1979)

Dies ist nicht mein Sohn.
Dies sind nicht seine Hände
Dies ist nicht sein Gesicht.
Diese Fetzen von Fleisch
Ich habe sie nicht gemacht.

Mein Sohn war die Stimme
die auf dem Platz rief
er war das Rasiermesser, geschärft
durch seine Worte
war die Wut
war die Liebe
die geboren werden wollte
die wachsen wollte.

Dies war mein Sohn
als er lebte,
als er gegen alle kämpfte:
Mafiosi, Faschisten,
Ehrenmänner
die keinen Heller wert sind
Väter ohne Söhne
Wölfe ohne Erbarmen.

Ich spreche mit ihm, lebend,
mit Toten
kann ich nicht sprechen.
Ich erwarte ihn bei Tag und bei Nacht,
mal öffnet sich die Tür,
er tritt ein, umarmt mich,
ich rufe ihn, er ist in seinem Zimmer,
studiert, mal geht er aus,
mal kommt er zurück, sein Gesicht
dunkel wie die Nacht,
aber wenn es lacht, ist es die Sonne
die zum ersten Mal hervorkommt,
die Sonne der Kinder.

Dies ist nicht mein Sohn.
Diese Bahre,
voll Fleischfetzen,
ist nicht Peppino.

Hier drinnen sind
alle Söhne
ungeborene
eines anderen Siziliens.

 
Umberto Santino

Brief an die Gefährten Peppinos, um zu erinnern
und, wenn möglich, fortzufahren (1990)

Ich weiß nicht
ist es noch möglich
zu sprechen, ohne zu lügen
sich in die Augen zu blicken
ohne die Lider zu senken
zurück zu denken an die Tage der Lebenden
(als Peppino
noch unter uns war
und sein Leben nackt
fiebrig
und seine Qualen
versagte Zärtlichkeiten suchten
misslungene Zärtlichkeiten)
und die Nächte der Toten
(als sein Körper
auf das Gleis gelegt wurde
die Tropfen seines Blutes
explodierten im Blitz des Trotyls
und sein Name
gestrichen von den Plakaten
sein Antlitz beleidigt
durch Feinde, grausamer als die Mörder)

Ich weiß nicht, ob es noch möglich ist
ihn zu erinnern
und uns zu erinnern

wenige Jahre vergingen
aber eine viel längere Zeit verstrich
tausende Ewigkeiten
und heute haben wir
leere Hände, leerer
als die Bahre
die seine Fetzen trug
heute sind wir nackt
mehr noch als seine Nerven
die die Haut durchstachen
wir sind verzweifelt
mehr noch, als er bei seinen Suizidgedanken war
und er forderte die Welt
heraus mit seinem Scheitern

Das Jahrtausend stirbt
in einem unendlichen Tschernobyl
der Wünsche und Hoffnungen
Wir wollen nicht mehr weinen
wir haben keine Sicherheiten mehr
und versuchen unsere Tage
zu füllen
mit demütigeren Händen
als jene, die Träume
und Wut großzogen
in Mitten der 68er
aber eine einzige Sache
möchte ich, dass wir uns sagten

(wenn es noch möglich ist
zu sprechen, ohne zu lügen
sich in die Augen zu blicken
ohne die Lider zu senken)

dass wir uns nicht ausliefern lassen
an Feigheit und Lüge

Peppino vereint uns

wenn wir es noch können
sein Leben zu leben
in einer anderen Zeit
mit neuen Ideen
und neuen Worten
aber mit dem selben Willen
sich der Grausamkeit der Mörder
und der List der Händler zu entziehen
die Machtfetzen anbieten
um bis zum Himmel ihre Pyramiden
von Stimmenzetteln errichten,
dem Geschrei derer, die verbergen
ihren Ausverkauf
an den Meistbietenden
mit wertlosen Münzen

Peppino spaltet uns

wenn wir keinen Willen mehr haben
auf Auseinandersetzungen
wenn es notwendig ist
aufeinander zu stoßen
mit den Vätern zu brechen
wenn alle
Kinder der Verwüstung werden
und Erben der Feigheit

Das Jahrtausend stirbt
in einem unendlichen Tschernobyl
der Wünsche und Hoffnungen

aber es kommen keine neuen Tage
wenn wir nicht zu sprechen wissen
ohne zu lügen
uns in die Augen zu blicken
ohne die Lider zu senken

wenn wir in uns
keine Wut und keine Zärtlichkeit haben
um die Wolken zu zerreißen
wenn wir nicht wissen
Liebe zu geben
einem Gefährten wie ihm
getrennt von allen
wenn wir ihn nicht auch treffen können
am Grunde
des Brunnens der Einsamkeiten
und gemeinsam gehen
mit erhobenem Kopf
zwischen den Häusern
mit den verschlossenen Fenstern
misstrauend
der Stille der Feigen
und dem Sieg der Mörder

 

Umberto Santino

Nicht ein einziger Schritt (2005)

Die hundert Schritte
die Du nie gegangen bist
weil es nicht nötig war
nicht ein einziger Schritt
um in Dir zu entdecken
das Blut der Väter
die alte Stimme
die erzählte
von Familienkriegen
offen Grausamkeiten
und geheimen Komplizenschaften
dass es geschlossener Augen bedurfte
sie nicht zu sehen.
Heute wollen sie aus Dir
eine Ikone machen, welche Du nicht bist
und Deine Isolation vertrösten
mit Worten, die verheimlichen
die unüberwindbare Distanz
zwischen verschiedenen Geschichten.
Die Liebe, die Du nicht hattest
zwingt uns, Dir zu antworten:
die Kriege sind nicht beendet
und die Stille der Feigen
verseucht weiterhin die Welt
aber Deine Figur ist zerstört
man fast sich entlang des Gleises
das in die Welt läuft
Maß des Wünschens
Horizont des Traums.

 
Umberto Santino

Ein Funken Hoffnung (2005)

Heute erreichen uns
Deine Worte wie Wellen
eines endlich beruhigten Meeres;
Der Vater geht
seinem Tod entgegen
eine Hand vorsteckend
um Deine letzte Reise zu beschützen
und die Mutter kniet, aufzusammeln
die Fetzen Deines Körpers
um Dich noch einmal
zur Welt zu bringen
in eine Welt ohne Hass
ohne Blut.
Heute sind alle in Reichweite Deines Blickes
die Gesichter der versagten Liebe
und auch wenn die Straßen
immer mehr bergauf führen
und wir das Ziel nicht kennen
können jedoch auch verzweifelte Worte
einen Funken Hoffnung
nähren.

 

Umberto Santino

Die Worte und die Gesänge (2006)

Du schriebst:
Liebe Werden Wir Nicht Haben
und in all diesen Jahren
suchten wir, Dir das zu geben
was Du zu Lebzeiten nicht erfuhrst.
Wir haben Dich nicht gerecht
aber wir sind dem Weg gefolgt
der Dich trennte
von Deinem Blut,
aufgesammelt die Fetzen
Deines Körpers,
gesprochen zu verschlossen Fenstern
belagert die Häuser
um zu entlarven
Mafiosi und Irreführer.
Heute, Deine Worte
buchstabiert im Stillen
erheben sich in die Himmel der Plätze
um Dein Mühsal zu erzählen.
Wir wissen:
es gibt keine Engel
zum Spielen
Mafiopoli war eine Metapher
der Welt
und die Nacht war so lang
dass sie sich dem Morgen entzog.
Dein Antlitz droht
eine Ikone zu werden
wenn wir nicht wissen, Dich als den anzusehen
der Du warst:
ein Sohn, im Bruch mit den Vätern
ein Gefährte in den Kämpfen
die nicht mit Dir starben
der auch in der Enttäuschung
den richtigen Halt
zu finden wusste.
Deine Geschichte
ist die Unsrige
und mit den Händen Deiner Mutter
öffnete sich die Tür
die sich hinter Dir verschloss
der Zukunft.